Die Idee einer Wanderfahrt an die Moldau hatte schon eine Weile herumgespukt. Ein uns bisher unbekanntes und mutmaßlich sehr schönes Ruderrevier bei unseren nördlichen Nachbarn. Und alleine aufgrund der Bierpreise sollte sich die Reise bald amortisieren.
Nach Internet-Recherchen und Nachfrage bei anderen Vereinen gab es jedoch zahlreiche Bedenken wegen variabler Wasserstände, unwilliger Schleusenwärter, schlechter Infrastruktur, reservierungspflichtiger Bootstransporte mittels abenteuerlicher Vorrichtungen, notwendigem Landdienst samt ausgeklügelter Logistik, weniger Ausstiegsmöglichkeiten, usw. Und das Ganze mit Sprachbarriere und schwankender Hoffnung auf Englisch als allerorts verfügbare Universalsprache.
Unsere beharrliche Fahrwartin Sandra blieb aber stets am Ball und konnte gemeinsam mit dem äußerst sprachgewandten Daniel schließlich ein recht attraktives Paket schnüren. So attraktiv, dass mit Franz Haunschmidt sogar ein Mitruderer vom Nachbarverein Ister angelockt wurde. Für den Landdienst (vor allem Hänger-, Gepäck-, Personen- und Pizzatransport) konnte Eva glücklicherweise ein sehr nettes befreundetes Paar gewinnen, das uns großartig unterstützt hat und sich dabei die eine oder andere Sehenswürdigkeit nicht entgehen ließ. Die An- und Abreise mit Booten im Schlepptau und kompletter Mannschaft wurde von Bernhard bewerkstelligt und noch von Franz und Thomas unterstützt. Vielen Dank allen Organisatoren und Helfern!
Somit waren einige Hindernisse ausgeräumt und insgesamt war die Expedition auf 10 Leute angewachsen:
– Sandra, Daniel, Eva, Franz und Bernhard im 5er Christiana.
– Manfred, Manuela und Claudia im 3er Joe.
– Maria und Roland in 2 Begleitfahrzeugen.
Der lange im Voraus geplante in der Vorsaison gelegene Termin von 18. (Christi Himmelfahrt) bis Sonntag, 21.5.2023 sollte sich schlussendlich als recht günstig erweisen. Die zunächst eher bescheidene Wetterprognose wurde immer besser und schließlich gab es gar keinen Niederschlag und der drehende böhmische Wind war meist deutlich spürbar, aber nur ganz selten störend.
Donnerstag
Nach einer logistischen Meisterleistung mit Start um 6:00 waren schließlich alle Akteure irgendwie am Startpunkt in Týn (klarerweise dem mit dem Zusatz „nad Vltavou“) angekommen, wo wir freundlicherweise den riesigen Luxus-Steg des dortigen Kanuvereins KKJ (ca. bei km 205 links) benutzen durften. An der Strömung konnte man sich hier nicht orientieren, denn es gab schlicht keine. Das sollte sich in den 4 Rudertagen auch kaum ändern. Bis auf ein paar kurze Engstellen ist die Moldau schlicht zu breit, um mit dem wenigen Wasser ernsthaft Strömung zu haben. Den für 150 Ruder-km ganz ordentlichen Höhenunterschied von 362 m in Týn auf 192 m in Prag haben wir fast zur Gänze in Schleusen und anderen technischen Vorrichtungen abgesessen. Aber dazu später mehr. Irgendwie haben wir letztlich aber offenbar die richtige Richtung erwischt und starteten um 9:45 gen Prag.
Das erste Kraftwerk Kořensko war gleich nach 5 km und wir passierten die Überhebstelle rechts ohne Probleme mittels Umtragen. Für den Einsatz der brandneuen mitgeführten Bootswagen war die Strecke zu kurz.
Nach dem Kraftwerk ging es im selben Stil weiter und wir zogen bei kühler Witterung unter wolkigem Himmel unsere Spuren in die ansonsten weitgehend menschenleere und von bewaldeten Ufern umrahmte Moldau. Wochentags menschenleere Häuschen und Fischer gibt es hier jede Menge. Letztere stecken zwar Hindernisse in Form von bunten Markierungsstangen mitten in die Fahrrinne, sind den Wassersportlern aber
ansonsten freundlich gesonnen. Nachdem es unterwegs (erwarteterweise) keine Labstellen gegeben hatte, waren wir froh, als wir unser Etappenziel bei der Burg Zvíkov (bei km 169 links) erreichten.
Direkt an der Landzunge unter der Burg betteten wir die Boote in feinen Sand und stiegen über alte Treppen hoch in den Burghof. Nach einer Besichtigung des gut erhaltenen historischen Gemäuers konnten wir uns kurz nach dem Verlassen der Anlage endlich mit einem Bier stärken, bevor wir ca. 1 km weiter zum recht feschen und mit weiten Parkflächen üppig begrünten Quartier „Penzion & Kemp Ivánek“ spazierten. Abendessen gab’s in einer imposanten Brauereigaststätte „Pivovarský dvůr Zvíkov“ auf halbem Weg retour zur Burg.
Freitag
Wir hatten es eilig, trotz angesagtem Gegenwind zu unserem reservierten Boots-Aufzug zu kommen, konnten den Wirten (genauso wenig wie später jeden der weiteren Gastgeber) aber nicht dazu bewegen, ein Frühstück vor 8h zu ermöglichen. Durch die Hilfe unseres Landdienstes, der uns zur Burg brachte, konnten wir etwas Zeit gut machen und gegen 9:30 ablegen.
Der Wechsel vom (ohnehin recht trägen) Moldaustrom zum endgültig stehenden Gewässer Orlík-Stausee war fließend. Aber die Wasserfläche weitete sich zusehends und immer mehr Fjord-artige Ausstülpungen erschwerten die Navigation. Manfred fuhr letztlich nach Navi, um nicht in irgendeiner Sackgasse Zeit zu verlieren – der Bootstransport würde wohl kaum auf uns warten. Also ging es Kurven schneidend vorbei am Schloss Orlík über den teils etwas welligen Stausee und wir erreichten unser erstes großes Abenteuer mehr als rechtzeitig.
Der Schiffsaufzug von Orlik (km 145 rechts) ist ein Leckerbissen für jeden Flusswanderer und so etwas hat man wahrlich nicht alle Tage! Nach einer online-Reservierung (und telefonischer Nachfragen bei den überaus freundlichen Mitarbeitern) wird man gebührenfrei über die ca. 90 m hohe Staumauer gehoben. Die maximale Bootslänge liegt offiziell bei 10 m, aber niemand misst die deutlich längere Christiana nach. Als sie den Zaun streift, ist die Fahrt schon im Gange und wird von den Mitarbeitern auch nicht mehr abgebrochen. Darüber sind wir sehr froh, denn wie die Talsperre alternativ zu bewältigen wäre, ist unklar. Zwei Boote parallel gingen sich kaum aus und werden vom Betreiber nicht zugelassen, also rudern wir mit einer halben Stunde Versatz jeweils einzeln in die „Gondel“, die der Mitarbeiter dazu knapp unter die Wasseroberfläche setzt. Dann steigen wir aus, klettern in den Personenbereich oberhalb des Bootes und schon geht’s los. Der Schrägaufzug erklimmt die paar Meter zur Dammkrone, dreht dort um 180° und wird schließlich spektakulär zig Meter zum Unterwasser abgelassen. Nachdem es keinen Ärger mit der Überlänge gab und alles zu klappen scheint, sind wir recht entspannt – na ja, zumindest bis wir unten ankommen. Dort gilt es, bei Gegenwind durch einen kaum 3 m breiten Durchgang raus zu streichen. Für den Joe eine reichlich kippelige Angelegenheit, bei der wir das glücklicherweise mitgeführte Paddel gut gebrauchen können. Schwimmwesten wären hier eventuell eine gute Idee gewesen, aber wir balancieren dann doch ohne Kenterung durch die Engstelle. Manöver-Schluck gibts keinen – kaum Infrastruktur und wenige Ausstiegsmöglichkeiten. Also kommen wir nach ein paar Mäanderschleifen bald zum Kraftwerk Kamýk, wo wir die einzigen Gäste sind und ruckzuck erstaunlich tief runter geschleust werden. Dann ist es nicht mehr weit zu unserem Quartier „Penzion & Restaurace Maják“ (km 121 rechts), wo wir wieder sehr gut untergebracht sind und verköstigt werden.
Samstag
Wieder haben wir es etwas eilig, zum großen Abenteuer des Tages zu kommen und scharren schon in den Startlöchern, als das Frühstück um Punkt 8 öffnet. Wir haben wieder einen zeitlich genau definierten Bootstransport reserviert – es soll windig werden und man weiß nicht, wie das Vorankommen wird. Letztlich geht es dann eh ganz gut und teilweise haben wir sogar Mitwind. Zunächst muss der Stausee von Slapy abgefahren werden. Der macht zwar viele Schleifen, ist aber nicht ganz so breit, zerklüftet und verwinkelt wie der Orlík-Stausee. Auch gibt’s hier schon deutlich mehr geöffnete Infrastruktur (was vielleicht nicht nur an der Topografie liegt, sondern auch an der Nähe zu Prag und dem angebrochenen Wochenende). An einem Campingplatz können wir uns daher gegen Mittag sogar einmal ein gemütliches Bierchen genehmigen. Es ist nun schon deutlich wärmer als die beiden ersten Tage und wir genießen die innere Abkühlung im Schatten, weil es mittlerweile schon reichlich Sonne gibt. Bei km 92 erreichen wir die Talsperre Slapy und fahren links zur Slip-Anlage. Hier herrscht munteres Treiben und Gedränge. Große Autos lassen noch größere Anhänger mit teilweise absurd riesigen Motorjachten zu Wasser. Das sind die Privatiers, jeder will der erste sein, sie überholen einander im Rückwärtsgang und wenn man sich die Fahrkünste auf der rutschigen Schräge anschaut, fragt man sich, wie viele schwere Premium-Wagen hier wohl schon auf Nimmerwiedersehen im Wasser verschwunden sind.
Aber auf den größten warten wir und da kommt er auch schon. Ein ausgewachsener Traktor – schwer genug für das Ziehen von tonnenschweren Jachten und mit einem robusten Anhänger – bahnt sich seinen Weg durch die Menge, denn er will uns nicht warten lassen. Wir haben reserviert und so werden die Jacht-Kapitäne mit der Autorität des Platzhirschs verscheucht, um unsere Boote zu transportieren. Mit ein bisschen Radebrechen in englischer Sprache gelingt es uns recht leicht, ein Ruderboot im Wasser in die Schlaufen des Anhängers zu bugsieren. Ein fester Schaumgummi oder ein alter Turnschuh sollte noch zwischen die Kielleiste und die Hydraulikleitungen geklemmt werden. Dann das ganze Boot mit einer Leine sichern und los gehts! Wieder nur einzeln, aber zügig fahren die Boote in einer großen Schleife um den Damm. Die Mannschaft geht zu Fuß und versucht teilweise, Schritt zu halten. Sitzen dürfen wir ja eh den ganzen Tag. Auch das Entladen gestaltet sich problemlos und die zweite große Staumauer unserer Reise ist überwunden.
Auch dieses Service ist kostenlos, Trinkgeld ist aber verdient und wird gerne genommen.
Es folgt der landschaftlich wahrscheinlich reizvollste Abschnitt. Tief eingekerbt fließt (ja, hier fließt sie sogar langsam) die Moldau zwischen hoch aufragenden Felswänden, in die wie von Geisterhand immer wieder kleine Wochenendhäuschen an kaum zugänglichen Stellen gebaut sind. Nach einigen Biegungen erreichen wir das Kraftwerk Štěchovice, wo wir wieder umstandslos geschleust werden. Noch ein kleines Stück über eine hier recht schmale Moldau und schon ist das Quartier für die Nacht erreicht. Das Hotel Mandate hätte viel Potenzial, ist es doch direkt am Fluss (leider aber auch der Straße) gelegen, mit Terrasse und hübschen kleinen Zimmern. Getrübt wurde die Erfahrung mit diesem Haus durch den teils übellaunigen Betreiber, der trotz unserer Reservierung kein Abendessen zustande brachte, Getränke nur widerwillig ausschenkte und uns zur Selbstversorgung (Pizza vom Landdienst) zwang.
Nachdem der Pizzadienst auch Bier mit dabei hatte, wurden wir quasi des Lokals verwiesen und verlegten den Ausklang des Tages kurzerhand auf den Steg.
Sonntag
Unser Hotelier war zwar nach einer Mütze Schlaf deutlich verträglicher, aber Frühstück gibt’s in der Gegend offenbar immer erst ab 8. Die letzte Etappe war jedoch deutlich kürzer angesetzt und so war das auch in Ordnung.
Die Moldau zeigte sich von ihrer schönsten Seite und die Sonne lud von der Früh weg dazu ein, kurzärmelig zu fahren. Über 2 weitere Staustufen (Vrane und Modrany) mit jeweils problemloser Schleusung ging es der tschechischen Hauptstadt entgegen. Zunächst noch recht ländlich und nur leider von der Hauptstraße gesäumt, schlängelte sich die oft spiegelnde Wasserfläche schließlich durch die Außenbezirke von Prag. Die Ufer werden hier gut genutzt und man hätte an jeder Ecke problemlos ein Bier vom Fass bekommen, ohne sich einen Steinwurf vom Boot zu entfernen.
Bis auf ein paar wendende Touristendampfer war nicht allzu viel los und wir konnten entspannt die Sehenswürdigkeiten genießen. Beim Tanzenden Haus in Sichtweite der Karlsbrücke war dann aber Schluss, da danach ein Wehr die Weiterfahrt behindert.
Von dort mussten wir wieder ein paar km zurück, wo wir beim RV Bohemians unsere Boote endgültig aus dem Wasser und auf den bereitstehenden Hänger hieven durften. Unser Landdienst hatte den dort geparkt, war aber natürlich nicht mehr vor Ort, sodass wir uns leider nicht gehörig verabschieden konnten. Viele Grüße und nochmal tausend Dank an der Stelle!
Die Heimreise gestaltete sich wieder sehr angenehm, wobei 3 von uns ein kleines Prag Sightseeing mit anschließender Zugfahrt hatten und die anderen 5 mit Bernhards Auto heim fuhren.
Resümee
Die Moldau hat sich uns mit all ihren Facetten, aber stets von ihrer besten Seite präsentiert. Von schmal bis breit, von spiegelnd über kabbelig bis wellig, von kühl bis heiß, von ländlich bis in die Großstadt. Alles hat – dank akribischer Planung – perfekt funktioniert.
Ein Must-have in jedem Fahrtenbuch, mit Highlights, die es sonst wohl kaum noch mal gibt.